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Zwergkleinchen und das Zauberkraut

Das fabelhafte Märchen lag lange verborgen in meinem «Festplattenwald».  Es wird im Februar 2023 beendet sein.

Die lange Pause war nötig, um mit neuen Ideen frisch ans Werk zu gehen, denn die Figuren und Motive, die in Märchen ihren Platz finden, trifft man nicht auf der Straße - in der Realität. Oder doch?
Mein Märchen hat sehr wohl Realbezug.
Vieles aus dem «Heute» spiegelt sich darin wider und ein klarer gesellschaftlich-sozialer Hintergrund ist erkennbar.

Das Märchen ist für Kinder ab 12 Jahren, doch auch für Erwachsene geeignet. Daraus ergab sich zwangsläufig die Form der geplanten Veröffentlichung:
Es soll einem Theater angeboten werden. Vielleicht könnte auch ein Hörbuch entstehen. Lassen wir uns überraschen!

Inhalt:

Im fernen Zwergenland lebt das Zwergenkind «Zwergschrumpelnase» bei seiner Mutter und den Geschwistern. Seine hässliche Nase ist der Grund, dass er
diesen Namen trägt.

Eines Tages soll er auf Geheiß seiner Mutter alleine Kräuter im Wald sammeln und findet ein Kraut, vor welchem ihn die Mutter eindringlich gewarnt hat.
Doch seine Neugier ist zu groß … Ein Unglück geschieht.

Von nun an erwarten ihn viele Abenteuer und er lernt, seinen Großvater noch mehr zu schätzen denn je. Seine Geschwister jedoch werden auf eine große Probe gestellt, um das familiäre Band nicht zu zerreißen. Auf der Suche nach dem «Gegenkraut» müssen die Gefährten von «Zwergschrumpelnase», der nun einen anderen Namen trägt, viele Proben bestehen, neue Freunde und Helfer finden und beginnen eine Reise zu den Werten jeder großen oder kleinen Gesellschaft: Liebe, Mut, Treue und Loyalität.

 

Leseprobe:

 

Hexenhütte

Bald gelangten sie zu dem Häuschen der Zwergin. Inzwischen verstummten die Nachtigallen und die Sonne begab sich auf ihren Weg, um den Tag zu belichten. Der Wald erhellte sich, nachtschlafende Tiere krochen aus ihrem Bau und die Amseln sangen um die Wette. Sie gingen an einem Wässerchen vorüber und schon zeigte ihnen die Zwergenfrau ihre Hütte. Kaum noch etwas konnte den Großvater überraschen, dachte er. Was er sah, überragte seine Vorstellungen. Vor dem Haus gab es einen kleinen Garten mit unendlich vielen Waldblumen, eine schöner als die andere. Rechts neben dem Haus befand sich ein Gemüsebeet. «Nicht alles kann ich anbauen, dazu fehlt es hier an Licht», sagte die Zwergin und deutete auf die Bäume. Großvaters Blicke schweiften umher. Sprachlos sah er sich das aus Birkenstöcken gebaute Häuschen näher an. Die Fensterläden glänzten in Dunkelgrün. Auf der Terrasse thronten verschiedene Holzfiguren. Jetzt erkannte er, was sie darstellen sollten - besser gesagt: wen. Er zählte zwanzig Figuren: Zwerge aus dem Zwergendorf. Alle waren unterschiedlich bekleidet. Die Kleidung wurde mit Farbe auf den Figuren dargestellt. Eine Figur stand dominant vor ihnen. Er erkannte in ihr den Bürgermeister. Mit bösem Blick und verbissenem Ausdruck blickte er ihm hölzern entgegen, beide Arme nach oben gestreckt. In den Händen hielt er einen Pokal. «Was hält er da in der Hand?», fragte Großvater erstaunt die Alte, die neben ihm wartete und ihm die Zeit ließ. Ihm war nicht bekannt, dass sich der korpulente Zwerg an Ballspielen oder anderen Körperertüchtigungen beteiligt hätte. «Ich wusste, dass du fragen würdest. Es ist der Halunkenpokal. So nannte ich ihn. Wenn du näher an ihn herantrittst, siehst du die Aufschrift.» «Eine gute Idee!», grinste der Großvater und konnte sich nicht sattsehen an diesen Darstellungen in ihrer Vielfalt und farbenfrohen Gestaltung. In der Ecke erblickte er eine Zwergenfrau, Hand in Hand mit einem Zwergenmann. Vor ihnen stand ein klitzekleiner Bub mit großen, grünen Augen. Lebensfroh sah er zu ihnen auf. Die Alte sprach: «Ja, das sind wir. WAREN wir. Ich habe Angst, zu vergessen, wie sie aussahen.» Großvater nickte traurig. «Nun kommt hinein! Ich möchte uns einen Hagebuttentee kochen und den Zwergzwerg hungert es sicher schon?» Die drei lachten ob der Bezeichnung «Zwergzwerg» und betraten das Haus. An Überraschungen war es nicht genug. Solch eine schöne Zwergenstube sah Großvater noch nie. Außer seiner eigenen, aber es fehlte inzwischen die geschickte Hand seiner Frau. Zwergkleinchen, der vom Durst und Hunger schon leise geworden war und den die Zwergenfiguren kaum noch interessierten, gingen die Augen über. Alle Möbel wurden aus Holz gefertigt. An den Fenstern hingen zartgrüne Vorhänge, geschmackvoll verzierte Bänder und die Ruhestatt wurde mit fünf apfelgrünen Kissen ausgelegt. «Grün ist deine Lieblingsfarbe, vermute ich?», fragte der Großvater, keine Antwort erwartend. «Oh! Hier sieht es so grün aus wie in deinem Haus!» Zwergkleinchen rief es aus, sah den Blick des Opas und duckte sich. «Ist das wahr?» Die Alte lächelte. «Der Kleine übertreibt, so schön wohne ich nicht. Wer hat diese Möbel nur alle gebaut?» «Ich, mein Herr», antwortete sie vornehm. Diese Dame hatte man als «liederlich» bezeichnet, dabei war alles in der Stube an Ort und Stelle, aufgeräumt und wunderschön eingerichtet. Sie hätte nur Hilfe gebraucht. Zwerge, die ihr zugehört hätten. So vergingen die nächsten Stunden in Harmonie und Freude. Man aß und trank, tauschte sich aus und lachte. Großvater traute sich in dieser friedlichen Atmosphäre nicht, das Thema «Verlies» anzusprechen. Nach einigen Stunden, Zwergkleinchen schlief in der Nähe der Feuerstätte zufrieden und satt, nahm er all seinen Mut zusammen. «Bitte verzeih ... Ich möchte gern wissen, wo dieses Verlies ist. Die ganze Zeit beschäftigt es mich.» Er sah sein Gegenüber an und hoffte, sie würde nicht ungehalten werden. «Es befindet sich drei Meilen vom Dorf entfernt. Man geht die Birkengasse, wo ich wohnte, hinein in den Wald. Dieser Weg führt direkt dorthin. Er wird jedoch kaum gegangen, da ...» « ... er verrufen und gefürchtet wird, ich weiß.» Großvater beendete den Satz. «Man nennt ihn im Dorf den Böse-Riesen-Weg. Eine Sage berichtet, auf diesem Weg hätten Riesen vor langer, langer Zeit Zwerge verschlungen.» Die Greisin nickte. «In dieses Verlies werden auch aus anderen Dörfern Zwerge hingebracht, wenn sie gestohlen oder sich nicht eingefügt haben. Mich hat man nur entlassen, da ich zu schwach wurde, die Suppe zu essen, die sie mir brachten. Sie hatten Angst, ich würde ihnen sterben. Das hat man nicht gern. Man müsste sich vor den Angehörigen rechtfertigen. Ich hatte zwar keine mehr, doch es war ihnen zu gefährlich. Schließlich sollte sich die Kunde über dieses Gemäuer nicht verbreiten. So habe ich unterschreiben müssen, dass ich nichts über dieses Gefängnis verlauten lasse. Heute interessiert mich diese Unterschrift nicht mehr. Ich bin frei. Endlich, und nichts kann mich davon abhalten, es zu bleiben.» Sie schlürfte ihren Tee und nickte immer wieder, als müsse sie sich selbst überzeugen. «Wer leitet das Ganze?», traute sich Großvater zu fragen und es graute ihm vor der Antwort, die er ahnte. «Dieses Rätsel wirst du schnell lösen«, antwortete sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Großvater sah aus dem Fenster. «Der Bürgermeister.« Ein Flüstern.

Die Nacht brach an, es wurde Zeit, sich zur Ruhe zu begeben. Großvater war von den vielen Eindrücken und Begegnungen müde und erschöpft. Tief und fest schlief er, bis ihm der Duft von frischem Tee in die Nase stieg. Er begab sich in die Küche. Bekleidet mit einer Schürze aus Weidenblättern stand die Zwergin am Tisch und bereitete das Frühstück zu. Wie lange hatte er das nicht mehr erlebt!
Seit dem Tod der Frau aß er nur noch wenig und war oft allein. Welch Freude war ihm dieser Anblick und das überraschend aufkommende Gefühl der Heimischkeit, des Zusammenseins. Er räusperte sich. «Guten Morgen», begrüßte ihn die Zwergin ausgeruht und fröhlich. Er grüßte freundlich zurück und half ihr beim Tisch decken. Zwergkleinchen spielte derweil auf der Terrasse mit den Zwergenfiguren und unterhielt sich angeregt mit ihnen. Die Antworten der Figuren erfolgten promt, von ihm selbst. Dabei verstellte er seine Stimme, was so lustig klang, dass die beiden Alten lachten, die ihm von der Tür aus zusahen. «Komm bitte essen, Zwergkleinchen!», riefen sie ihm frohgemut zu. Als sie friedlich zusammen saßen und ihr Mahl genossen, sagte Großvater das Unvermeidliche:
«Wir müssen sehr bald zurück in unser Dorf gehen. Meine Tochter sorgt sich bestimmt. Ich weiß gar nicht, wie ich ihr beibringen soll, dass ...» Zwergkleinchen meinte mit vollem Mund unbekümmert: «Sag ihr einfach die Wahrheit. Erzähle ihr alles!» «Auf Kinder sollte man hören!» Großvater lächelte. Ja, warum kompliziert, wenn es einfach ist? Ist es das? Wird ihm die Tochter keine Vorwürfe machen? Sie würden ohne den Mondbitterling zurückkehren. Der Älteste verschwand mit einer riesigen Nase im Wald und Zwergkleinchen ist immer noch so winzig, dass er mit Ameisen spielen kann. «Aber wie machen wir das mit deinem großen Bruder? Wir wissen gar nicht, wann er zurückkommt. Ich mache mir auch Sorgen um ihn. Er ist und bleibt mein Enkel und hat einen großen Fehler gemacht.» «Ihr dürft ihn nicht verdammen. Aber er muss lernen. Wie ich bemerkte, verhielt er sich schon länger so, habe ich recht?» Sie sah den Kleinen an, der zustimmend nickte. «Was soll aus ihm werden, wenn er zum Manne geworden ist? Soll er werden wie der Bürgermeister? Mein Mann berichtete mir zu Lebzeiten von ihm. Schon in der Schule hatte er die Schwachen geärgert, spielte einen gegen den anderen aus, verhielt sich egoistisch und war verschlagen. Niemand hatte ihn daran gehindert. Seine Mutter lobte ihn immer nur. Sie war vor Liebe blind. Sie sagte ihm nicht, wenn er etwas falsch machte und sie zeigte ihm nicht, wie man mit anderen umgehen sollte. Ihm fehlte der Vater, der starb, als er zehn Jahre alt war. Somit nahm er früh die Rolle des Mannes im Hause ein und die Mutter brauchte jede seiner Unterstützung. Vermutlich hatte sie sich deshalb nie gegen ihn gestellt. Später war er immer auf Macht und Reichtum aus. Alles musste nach seiner Nase gehen und nie konnte er genug haben. Seine alte Mutter lebte vereinsamt in ihrem Haus und nur selten noch besuchte er sie. Wie eine Einsiedlerin ist sie gestorben. Ich erzähle euch das, damit ihr versteht, wie wichtig es ist, dass der Junge schon jetzt lernt, was es heißt, auf sich alleine gestellt und auf Hilfe und Unterstützung angewiesen zu sein. Wenn das nicht sein Herz weicher macht und seinen Verstand schärft, weiß ich mir nicht mehr zu helfen.»

Großvater schluckte schwer, denn die Frau hatte recht. Trotzdem sorgte er sich, wenn er auch an der Situation nichts ändern konnte. «Wir lernen es nur, mit dem Herzen bei anderen zu sein, wenn wir mit dem Herzen bei uns selbst sind», fügte die Zwergin milde hinzu und nahm die Hand des alten Zwerges in die ihre. «Lasst uns für ihn beten.» Großvater sprach leise und in seinem Blick lag diese letzte Bitte. Wortlos fassten sich alle drei an den Händen und sprachen das Zwergengebet:

»Zwergengott, du sanftes Wesen,
lass uns doch an dir genesen,
zeig uns bitte richt'ge Wege,
dass sich in uns Frieden rege,
Sei geheiligt deine Güte,
uns'ren Bruder du behüte,
sei unsrem Glücke zugetan,
und ewiglich wir dich bejahn.
Oh Zwergengott in Herrlichkeit,
wir sind dir treu zu aller Zeit.
Hamam
Hamam
Hamam.«

Sie lösten ihre Hände voneinander und sahen sich ergriffen an. Selbst Zwergkleinchen war leise. Wie ein Erwachsener hockte er andachtsvoll auf dem Tisch, ohne sich zu bewegen. Sie dachten an die anderen Zwerge, die in allen Himmelsrichtungen unterwegs waren, um nach dem «Mondbitterling» zu suchen. Ging es ihnen gut? Waren sie fündig geworden oder trafen sie den großen Buben mit der langen Nase? Viele Fragen waren offen. Nach dem freundschaftlichen Abschiednehmen von der der Greisin nahmen sie mit liebevoll zubereiteter Wegzehrung den Weg durch den Wald auf. Still und nachdenklich stapfte der Großvater. Diesmal machte er keine Späße mit dem Kleinen. Angestrengt überlegte er, wie er seiner Tochter beibringen sollte, dass ihr geliebter großer Sohn von der «Zwergenhexe» verzaubert worden war. Wie sollte er ihr alles erklären? «Großvater, du musst nicht grübeln», durchbrach der Kleine seine Gedanken. «Ich bin ja auch noch da und kann Mama alles erklären. Mein Bruder hatte ja gedroht, dass er sich ewas überlegt, damit ich nicht mehr solche Aufmerksamkeit bekomme. Er klang richtig böse und gemein. Mama weiß von alledem nichts. Es wird Zeit, dass sie es erfährt. Sorge dich nicht, ich bin zwar klein, aber ich habe einen Mund zum Reden.» Großvater neigte den Kopf zu dem Winzling und lächelte. «Wie kann es sein, dass DU so vernünftig bist und manche andere den kleinsten Anlass hernehmen, um ihr Gift zu versprühen?» Er schüttelte mit dem Kopf.
«Es gibt solche und solche, Frösche und Molche!», sagte der Kleine.
«Wo hast du das denn nur her?», fragte der Alte und lachte herzhaft.
«Von dir, von wem sonst?» Endlich war die Stimmung gelöster. Ein leichter Nieselregen benetzte ihre Gesichter. Die Tropfen rannen dem Großvater von den Haaren zum Nacken hinunter und versickerten im Kragen seiner sonnengelben Jacke. Zwergkleinchen sprang quietschvergnügt hinein. Sie sangen auf dem Heimweg und freuten sich, bald die Tochter und Mutter in die Arme zu schließen.

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Kommentare: 3
  • #1

    Angelika Wittenbecher-Hennig (Mittwoch, 12 Oktober 2022)

    Klasse!!!
    Das Beste was ich in letzter Zeit gelesen habe. Ich bin gespannt auf Mehr!!!

  • #2

    Marion Bock (Mittwoch, 12 Oktober 2022 18:01)

    Wunderschön lebendig geschrieben, beim Lesen entstanden in mir sofort Bilder. Ich bin begeistert, in welcher Farbigkeit Du diese MärchenWelt erschaffen hast. Ich freue mich schon auf die ganze Geschichte.

  • #3

    Sylvia Kling (Montag, 17 Oktober 2022 18:23)

    Ich danke Euch. Es ist ein spannendes Projekt.