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Spaßbremse

Seit Tagen wundere ich mich. Ärgere mich. Verzweifle.

Halt! Es braucht keinen Pathos, Tatsachen reichen.

Zum Erdbeben in der Türkei und Syrien postete in meinem Freundeskreis auf Facebook eine einzige Frau ihre Anteilnahme: die weit über 80-jährige Marlies S. Sie hatte als Kind den 2. Weltkrieg miterlebt, war verschüttet, aus Trümmern gerettet worden. Sie weiß, was es heißt, kein Dach über dem Kopf zu haben und nicht mal rudimentär versorgt zu sein.
Auf Instagram sah ich keine Beiträge dazu. Dort zählen überwiegend Autoren, Buchblogger und Künstler zu meinen Followern.


Wo sind die Künstler und Blogger, die ihre Reichweite nutzen, um Spendenaufrufe zu teilen, sich zu positionieren? Die erinnern, wie gut es uns - in Wirklichkeit - geht.

Auch die »Kleinkünstler« sind gemeint – weit ab vom Mainstream. Immerhin haben sie eine nicht zu verachtende Fangemeinde. Wo sind die Mutigen unter ihnen, die, mit dem Arsch in der Hose (ich bitte nicht um Entschuldigung für einen saloppen Ausdruck – er passt).

Wo sind die, die den Mund aufmachen, Verantwortung übernehmen?

Ich bin eine Spaßbremse.

 

»Wir posten nur noch Positives!«, sagte eine Frau vor wenigen Wochen zu mir. Eine gut gemeinte Intention. Aber ... alles andere »wegschummeln«? Ist das der richtige Weg, adäquat mit dem – unserem - Heute umzugehen, mit der Realität?

Heute, am 13. Februar - erstellte ich einen Beitrag zur Erinnerung an die Bombardierung Dresdens vor 78 Jahren - nur einen Link mit dem Kommentar eines Journalisten. Reaktionen erwarte ich keine mehr. Frage mich, warum ich es überhaupt wage!

Vor einigen Tagen teilte ich eine Spendenaktion für die Opfer des Erdbebens - und zuvor hatte ich selbst gespendet. Resultat: ein Like. Heute habe ich sie gelöscht, denn jedes Mal, wenn ich scrolle und die Ignoranz mir  in die Augen sticht, bahnt sich Hilf- und Mutlosigkeit ihren Weg.

Ein anderer Link zum Erdbeben brachte ganze vier Reaktionen ein. Traurig. Aber wahr. Poste ich Fotos von Ausflügen oder gar von mir, ist eine starke Veränderung des Zulaufs zu erkennen. Regelmäßig. Das sind Fakten. Und mir vergeht die Lust.

Sind wir somnambul?

 Ich bin der Ansicht, dass wir »unser Leben« weiterleben sollen. Unbedingt! Aber  - sind wir so erkaltet, dass uns die Bilder aus der Türkei und Syrien nicht berühren und  wir die Katastrophe ausblenden? Dass wir so tun, als drehe sich alles um unser hübsches beschauliches Leben - mit unseren Katzen, Hunden, unseren Wohlfühlzonen? Gibt es keinen noch so kleinen Raum für Empathie?

Oder hat der anhaltende Ukraine-Krieg deutliche Spuren hinterlassen? Eine »Katastrophenmüdigkeit«?

Anders gefragt: Ist es Angst, nicht mehr genügend LEBEN abzubekommen? Ich verstehe sie - das ist nicht der Punkt. Angst vor einem 3. Weltkrieg? Angst um unsere Kinder und Enkel? Trübt diese Beklemmung unseren Blick? Lässt uns erstarren? Lähmt sie unser Herz?

Das soll kein »Erhobener-Zeigefinger-Blogbeitrag« sein, sondern eine Anregung.


Eure Sylvia Kling

 

 

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Marlies B Schacht (Montag, 13 Februar 2023 18:32)

    Meine Liebe Sylvia, da erhebt mein Mädchen; daß ich so sehr in mein Herz geschlossen habe die Stimme und nennt die Dinge beim Namen.
    Diese Gefühlslosigkeit ist ein Phänomen was sich seit langen aufbaut und auch mir oft das Blut in den Adern erfrieren lässt.
    Diese Kälte zieht sich quer durch unsere Gesellschaft.
    Da sind es die Mediziner, die einen alten von Schmerz geplagten Menschen auf sein Verfalldatum hinweisen oder der Busfahrer, der unangemessene Beleidigungen Ausstattung, weil er seinen Hintern erheben muß um die Rampe für den Rollstuhl auszulassen.
    Hier handelt es sich um Kleinigkeite und plötzlich geschehen Katastrophen und Kriege mit denen nan nichts zutun haben möchte..
    Wir könnten die Reihe von Nichtachtung fortsetzen bis ins Rndlose und daran zerbrechen.
    Liebe Sylvia ich danke Dir für Deine mutigen Worte, in mir hast Du Eibe Freundin im Geiste auf langer Strecke gefunden.
    Lass uns nicht aufhören darauf hinzuweisen wie wichtig Solidarität in unseren leider so kaputten Gesellschaft ist.
    Mit lieben Gedanken
    Marlies..

  • #2

    Sylvia Kling (Montag, 13 Februar 2023 21:05)

    Liebe Marlies,

    es wundert mich nicht, dass DIE Person, die ich in meinem Kommentar erwähnte, auf meinen Beitrag antwortet ... Ich danke herzlich dafür.

    Du hast recht: Die Kälte zieht sich seit einiger Zeit spürbar durch die Menschen. Es fällt mir - ich bin ehrlich - oft schwer, mich dieser zu entziehen. Zu erinnern, dass ich so nicht sein möchte. Du kennst das Sprichwort "Die Umwelt formt den Menschen" ...

    Ich bin dankbar, noch Menschen wie Dich kennen zu dürfen (wenn auch - aufgrund der räumlichen Distanz nur auf digitalem Wege)!

    Herzliche Grüße aus Dresden
    Sylvia